Der Nachfolger des Vectra heißt Insignia. Material und Gestaltung wirken so hochwertig wie noch nie bei Opel. Mitverantwortlich dafür ist ein Designer, der von Ford kam
Autodesigner geniessen innerhalb der sonst durch Ingenieure und Vertriebsmanager geprägten Automobilindustrie einen Sonder-, manche sogar einen Starstatus. Einige gelten als so begabt, dass die Konzerne um ihre Gunst buhlen wie sonst nur Fußballklubs um die besten Kicker. Denn trotz immer strengerer gesetzlicher Auflagen für die Gestaltung von Motorhauben, Mittelkonsolen oder anderen Partien eines Fahrzeugs sind sie es, die die Idee von einem Auto in Form gießen. Das Beispiel des neuen Opel Insignia zeigt, dass bei der Jagd nach den besten Designern auch Überkreuzwechsel Teil des Transfergeschäfts sind. Was dann aber sogar in beiden Lagern für frischen Wind sorgen kann.
Als Mark Adams, Brite des Jahrgangs 1961, im September 2002 von Ford zu Opel wechselte, war er als Chefdesigner für alle Modelle der B-Reihe (Fiesta/Fusion) zuständig. Bei Opel stieg Adams, der unter anderem auch den zeitlos wirkenden Kleinwagen Ford Ka entworfen hatte, zunächst zum Leiter des Exterieur-Studios auf. Sein Boss damals: Martin Smith, ebenfalls Engländer, der lange für Audi gearbeitet hatte und durch diese Zeit geprägt worden war.
Als der charismatische Smith 2004 zu Ford ging und dort das neue "Kinetic Design" entwickelte, trat Adams bei Opel in seine Fußstapfen. Und siehe, beide Marken sind inzwischen dem stilistischen Mittelmaß entkommen. Ford schuf unter der Regie der ehemaligen Opel-Kreativen Smith und Stefan Lamm den Mondeo und den Kuga - Fahrzeuge mit modernen, gefälligen Formen. Nun zieht Mark Adams, inzwischen Leiter des europäischen Designzentrums bei GM Europe, mit dem Insignia nach.
Wer den neuen Mittelklassewagen auf der morgen beginnenden London Motor Show erstmals in Augenschein nimmt, wird vermutlich der Behauptung zustimmen, dass der Vectra-Nachfolger für Opel einen Riesenschritt nach vorn bedeutet. "Es ging uns nicht um eine Evolution, sondern um einen Paradigmenwechsel", sagt Adams.
Die beiden Schlagwörter, unter denen Adams seine Rüsselsheimer Mannschaft ans Werk gehen ließ, lauteten "skulpturale Kunst" und "deutsche Präzision". "Beim letzten Vectra waren wir im Innenraum schon ziemlich nah am Niveau eines Golf", sagt Adams. "Doch das Ambiente wirkte zu steril und kalt. Daher lautete der Auftrag, bei gleicher Qualität mehr Behaglichkeit ins Interieur zu zaubern."
Tatsächlich ist der Abstand sogar zum Branchenführer Audi deutlich geschrumpft. Materialauswahl, Ausleuchtung und Architektur sind so wertig wie in noch keinem Opel zuvor. Die im Vectra steil stehende Mittelkonsole wurde um 30 Grad nach vorn geneigt und zieht sich nun bis in die Tunnelkonsole hinunter. Als Nebeneffekt scheint der Schalthebel frei zu schweben.
Feinheiten wie kleine Chromstege zwischen den Drucktasten der Radio- und Navigationsanlage zeugen von der Liebe zum Detail: So wird eine Fehlbedienung ausgeschlossen, weil der Finger nicht mehr abrutschen kann. Die weiß oder - im "Sport"-Modus - rot hinterleuchteten Armaturen sitzen in röhrenförmigen Vertiefungen, ihre Skalen erinnern an die Zifferblätter teurer Chronografen. Präzision wird auch an den Reglern spürbar: "Beim Drehen eines Knopfes spürt man bis in die Fingerspitzen den Klick im Bereich eines halben Millimeters", sagt Designer Holger Weyer. Abgerundet wird der Insignia durch Dekorelemente in Klavierlack über Kiba-Holz bis zu warmen und kühlen Metallen.
Ein immer wieder auftauchendes Element ist das Sichel-Symbol: als Chromspange in den Türen, am Lenkrad und rund um die Schalthebelkonsole. An der coupéartig geformten Außenhaut spielt die Sichel sogar eine zentrale Rolle. Hier setzt die Einkerbung an der vorderen Tür an, zieht sich nach hinten unten und strafft so die Flanke.
Nach Audi-Vorbild setzt Opel beim neuen Insignia erstmals ein Tagfahrlicht ein. Anstelle eines s-förmigen Bandes kommt hier allerdings eine pfeilförmige Signatur zum Einsatz - so ist ein hoher Wiedererkennungswert gesichert.
Die Schokoladenseite des Insignia ist jedoch nicht nur für Mark Adams die Partie um die hinteren Kotflügel. Wie die Dachlinie und die seitliche Schulter in das Heck übergehen, das erlebt man sonst nur bei Sportwagen. Doch nicht immer beachtete Opel das eherne Designer-Credo "Form follows function" (Die Form folgt der Funktion): Durch den v-förmig zugespitzten Kofferraumdeckel schrumpft die Breite des Laderaums auf 88 Zentimeter. Und eine 15 Zentimeter hohe Kante erschwert den Zugang fürs Gepäck.
Mark Adams glaubt, beim Insignia die richtige Balance zwischen emotionalen und funktionalen Elementen gefunden zu haben. "Er ist athletisch und kraftvoll, zugleich sehr elegant." Im Vergleich zum direkten Rivalen Ford Mondeo kommt der Insignia weniger aggressiv daher und steht eher für eine elegant fließende Form. Familienähnlichkeiten sind völlig ausgeschlossen, was beweist: Sowohl Adams als auch Smith haben ihre neue Linie gefunden.